Herz-Kreislauf-Krankheiten (HKK; auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krankheiten des Kreislaufsystems, kardiovaskuläre Erkrankungen) sind Krankheiten der Blutgefäße und des Herzens, die zu Blut- und damit Sauerstoff-Mangel im durchbluteten Gewebe führen. Bei zu großem/langem Sauerstoff-Mangel stirbt das betroffene Gewebe ab oder wird dauerhaft geschädigt. Zu den HKK gehören u.a. Arteriosklerose, Angina Pectoris, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall.
Etwa jeder zweite Todesfall in der BRD beruht auf einer HKK. An den tödlichen Herzinfarkten, die etwa ein Drittel aller an HKK Verstorbenen ausmachen, zeigt sich, daß darunter viele Männer und Frauen im Erwerbsalter sind. Männer sind stärker gefährdet als Frauen.
Hier stellt sich die Frage nach dem Einfluß von Arbeitsbedingungen auf die Entstehung von HKK. Für Hirn-Gefäßkrankheiten (Schlaganfall, Zerebralsklerose) ist ein Zusammenhang mit der Arbeitswelt bisher kaum untersucht, da das meist hohe Alter der Betroffenen eine Überprüfung erschwert.
Anders bei den koronaren Herzkrankheiten (KHK = HKK ohne Krankheiten der Hirngefäße) - an ihnen kann man schon früh erkranken und sterben. Sie wurden lange Zeit mit der "Risikofaktorentheorie" erklärt: gesundheitliches Fehlverhalten wie Rauchen, fettreiche Ernährung, Bewegungsmangel führt zu den bekannten Herz-Kreislauf-Risikofaktoren, wie Bluthochdruck, hoher Cholesteringehalt und Übergewicht. Die Arbeitswelt blieb dabei ausgeblendet, obwohl bekannt ist, daß hohe Arbeitsbelastungen oft durch gesundheitliches Fehlverhalten (z.B. Rauchen, hoher Alkoholkonsum) kompensiert werden, und zudem unterschiedliche Berufsgruppen sehr unterschiedliche Infarktrisiken haben.
Die am besten untersuchte KHK ist der Herzinfarkt. Studien zu seiner oft jahrzehntelangen Entstehung zeigen, daß die Berufstätigkeit dabei einen wichtigen Einfluß spielen kann; z.B. Lärm am Arbeitsplatz, Überstunden, Nacht- und Schichtarbeit, Hetzarbeit, Streß. Einfache Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastungen und Infarktrisiko (nach dem Muster: je mehr Belastung, desto größer das Risiko) sind aber eher selten. Dies dürfte vor allem auf dem "healthy worker effect" beruhen, gemäß dem vorwiegend hoch belastbare Arbeitnehmer gesundheitsschädlichen Arbeitsbelastungen ausgesetzt werden. Als Folge sind z.B. Nacht- und Schichtarbeiter oft gesünder als ihre Kollegen - nicht, weil ihre Arbeit gesund macht, sondern weil gesundheitlich "angeschlagene" Arbeitnehmer von der Nacht- und Schichtarbeit schnell umgesetzt oder entlassen werden. Entsprechend sind z.B. ehemalige Schichtarbeiter deutlich kränker als ihre aktuell im Schichtbetrieb arbeitenden Kollegen.
Die hier beispielhaft genannten Arbeitsbelastungen Lärm, Überstunden, Nacht- und Schichtarbeit sowie quantitative Überlastung spiegeln die tatsächliche Arbeitssituation der Arbeitnehmer nur eingeschränkt wider. Es ist davon auszugehen, daß Arbeitsplätze in der Mehrzahl eine Kumulation verschiedener Arbeitsbelastungen ("Mehrfachbelastung") aufweisen. Dabei gilt weiterhin, daß sich die Arbeitsbelastung im Laufe eines Berufslebens meist mehrfach ändert und daher am letzten Arbeitsplatz nur unzureichend erfaßt werden kann.
Eine "mechanistische" Erklärung derart, daß chronisch hohe Arbeitsbelastungen zwangsläufig zum Herzinfarkt führen, greift zu kurz. Der Herzinfarkt läßt sich eher verstehen als "falsche" Abfolge von Belastung, Beanspruchung und Bewältigung - eine äußere Anforderung (Belastung) führt zu innerer körperlicher oder seelischer Spannung (Beanspruchung) und wird mit einer Tätigkeit "beantwortet" (Bewältigung), die die Anforderung erfüllt, abwehrt oder sonstwie "Spannung reduziert". Dabei kann vieles "schieflaufen":
Meist wirkt dabei "Streß" als Vermittlungsglied zwischen Arbeitsbelastungen (Zeitdruck, Angst vor Arbeitsplatzverlust, etc.) und daraus folgenden medizinischen Risiken (Bluthochdruck, neuro-hormonelle Störungen, etc.). Die einen Infarkt auslösenden oder verursachenden Bedingungen unterscheiden sich für verschiedene Arbeitnehmer, wie Männer vs. Frauen, Ungelernte/Angelernte vs. Facharbeiter, körperlich vs. geistig Arbeitende. Entsprechend läßt sich nicht "die eine" für alle Arbeitnehmer gleiche "infarkt-typische" Arbeitsbelastung ermitteln - es gibt anscheinend "verschiedene Wege zum Infarkt".
Der Herzinfakt bildet meist den Abschluß eines oft jahrzehntelangen, Krankheitsprozesses. Er läßt sich nur aus diesem Prozeß verstehen, und nicht aus der mehr oder weniger zufälligen Situation bei Ausbruch. Diese Einsicht hat Folgen für Untersuchung, Erklärung und Verhütung:
Herzinfarkt hat viel mit beruflicher Leistung zu tun - er gilt aber erst ab mittlerem Management als Preis von "Dynamik", Ehrgeiz und Fleiß. Die gesellschaftliche Wertschätzung von Arbeit und Leistung behindert aber die Aufdeckung ihrer engen Beziehung zur Krankheit Herzinfarkt. In den unteren Rängen der Berufshierarchie gibt es angeblich wenig Leistung "im eigentlichen Sinne"; weiter oben hat sie sich "gelohnt" - warum also klagen? Dies erklärt zum Teil die Dominanz der physiologischen "Risikofaktorentheorie" bei der Infarkt-Prävention.
HKK werden vom Berufskrankheiten-Recht vernachlässigt, obwohl sie oft durch Arbeitsbelastungen mitbedingt sind. Hier liegt eine gravierende - für Unternehmer lukrative - Regelungslücke vor, die mit der (folgenlosen) Zuordnung zu "arbeitsbedingten Krankheiten" nicht geschlossen wird.